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Fahrlässigkeit: Unter Fahrlässigkeit versteht man das Versäumnis, angemessene Sorgfalt walten zu lassen, wodurch eine andere Person oder Eigentum geschädigt wird. Es handelt sich um eine Pflichtverletzung, wenn eine verantwortliche Partei nicht vernünftig handelt oder Handlungen vornimmt, die eine umsichtige Person unter ähnlichen Umständen nicht vornehmen würde. Siehe auch Kompensation.

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Anmerkung: Die obigen Begriffscharakterisierungen verstehen sich weder als Definitionen noch als erschöpfende Problemdarstellungen. Sie sollen lediglich den Zugang zu den unten angefügten Quellen erleichtern. - Lexikon der Argumente.

 
Autor Begriff Zusammenfassung/Zitate Quellen

Experimentelle Ökonomik über Fahrlässigkeit - Lexikon der Argumente

Parisi I 92
Fahrlässigkeit/Experimentelle Ökonomik/Sullivan/Holt: Ökonomische Experimente sind besonders wertvoll, um einen empirischen Einblick in die Anreizeffekte verschiedener Haftungsregime zu erhalten. Eine frühe Studie von Kornhauser und Schotter (1990)(1) illustriert das typische Design. Die Versuchspersonen hatten die Aufgabe, individuelle Entscheidungen in einer abstrakten Entscheidungsumgebung zu treffen, die der grundlegenden Sorgfaltsentscheidung bei einem Unfall mit nur einem Akteur entsprach. Über mehrere Runden des Experiments wurden die Versuchspersonen dem Risiko eines zufälligen Ereignisses (Unfallverletzung eines Dritten) ausgesetzt, das mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit eintrat, die die Versuchsperson durch Investition in eine kostspielige Ressource (Vorsicht im Verhalten) reduzieren konnte. In jeder Periode, in der das Ereignis eintrat, wurde der Verdienst der Versuchsperson (Delikthaftung für die Verletzung) gemäß einer abstrakten Darstellung eines gegebenen Haftungsregimes (Fahrlässigkeit, Gefährdungshaftung, etc.) reduziert.
Ergebnisse: (...) die beobachteten Sorgfaltsniveaus konvergierten schnell zur theoretischen Vorhersage unter einem Fahrlässigkeitsstandard, bei dem die Probanden nur dann für Verletzungen haftbar waren, wenn sie weniger als ein festgelegtes Maß an Sorgfalt walten ließen. Effiziente Sorgfalt kann also durch eine geeignete Wahl des Fahrlässigkeitsstandards gefördert werden. Im Gegensatz dazu konvergierten die Probanden unter einem strengen Haftungsstandard, bei dem kein Grad an Sorgfalt ausreicht, um der Haftung für eine Verletzung zu entgehen, während des Experiments nie zum effizienten Sorgfaltsniveau.
Unfälle mit zwei Akteuren: Wittman et al. (1997)(2) erweitern die Untersuchung auf Unterarten der Fahrlässigkeitshaftung in einem verwandten Experiment zu Unfällen mit zwei Beteiligten. Die Konvergenz zu einem gleichgewichtigen (und effizienten) Sorgfaltsniveau wird bei komparativer Fahrlässigkeit schneller beobachtet als bei mitwirkender Fahrlässigkeit,* was vielleicht die intuitivere Zuteilungsregel der komparativen Fahrlässigkeit oder die Verwischung von Anreizeffekten unter dem System der komparativen Schuld widerspiegelt. In jedem Fall wird beobachtet, dass ein Haftungsausschluss unter beiden Fahrlässigkeitsstandards liegt.
Experimente/Probleme: (...) eine zuverlässige Replikation der wichtigsten Ergebnisse fehlt derzeit. ...
VsKornhauser/VsSchotter: ... Im Gegenteil, ein aktuelles Experiment zu Unfällen mit einem Akteur von Angelova et al. (2013)(4) berichtet von stabilen und gleichwertigen Niveaus von Sorgfalt unter
Parisi I 93
Fahrlässigkeit und Gefährdungshaftung - eine Schlussfolgerung, die nicht mit der von Kornhauser und Schotter (1990)(1) übereinstimmt.
Experimente/Methode/Probleme: Ein weiteres Thema, das mehr Aufmerksamkeit verdient, ist die Diskussion über Lernen und Konvergenz zum Gleichgewicht in dieser Literatur. Wenn effiziente Niveaus von Sorgfalt tatsächlich etwas sind, das in der Praxis durch Erfahrung erlernt werden muss, dann könnte die seltene und idiosynkratische Natur vieler Unfallverletzungen implizieren, dass Experimente besser auf das Verhalten unerfahrener Subjekte außerhalb des Gleichgewichts fokussiert werden sollten, wenn die relative Effizienz verschiedener Haftungsstandards betrachtet wird.
Verhalten/Anreize: (...) experimentelle Arbeiten sind erforderlich zu der eng damit zusammenhängenden Frage, wie unterschiedliche Schadensersatzregeln Anreize für das Verhalten unter einem bestimmten Haftungsstandard setzen (z. B. Engel und Eisenberg, 2014)(5).
Fahrlässigkeit: Die experimentelle Ökonomik kann auch ein Fenster für die Untersuchung von Fragen bieten, wie Haftungsentscheidungen unter dem Fahrlässigkeitsstandard getroffen werden. Sowohl in der berüchtigten Formel von Learned Hand zum Vergleich von Nutzen und erwartetem Verlust als auch in der traditionelleren Definition der "reasonably prudent person" (dt. vernünftig vorsichtige Person) zwingt der Fahrlässigkeitsstandard den Tatsachenfinder, die Ex-ante-Wahrscheinlichkeit einer zufälligen Verletzung unter dem Verhalten des Beklagten zu berücksichtigen.**
Vgl. >Haftungsrecht/Learned Hand
.
Einsicht/Experimente: Leider deuten zahlreiche experimentelle Belege darauf hin, dass Menschen bei dieser Art der Ex-post-Bewertung von Ex-ante-Wahrscheinlichkeiten nicht sehr gut sind. Ein besonders unangenehmes Problem ist die Verzerrung in der Einsicht - die Tendenz von Menschen, die das Ergebnis eines zufälligen Ereignisses beobachten, die Ex-ante-Wahrscheinlichkeit des Eintretens dieses Ergebnisses zu überbewerten (Fischhoff, 1975(7); Slovic und Fischhoff, 1977(8)).
Information/Introspektion: Eine eng damit zusammenhängende Beobachtung in wirtschaftswissenschaftlichen Experimenten ist die allgemeine Unfähigkeit informierter Subjekte, die Urteile relativ uninformierter Subjekte introspektiv zu reproduzieren, selbst wenn ein Anreiz besteht, dies zu tun - ein Phänomen, das als Fluch des Wissens bezeichnet wird (Camerer, Loewenstein und Weber, 1989(9)).
>Experimente/Experimentelle Ökonomik.

* Für einen Hintergrund und Kommentar zu dieser Unterscheidung, siehe Schwartz (1978)(3).

** Zipursky (2007)(6) liefert sowohl Kontext als auch provokative Kommentare zu
diese konkurrierenden Formulierungen des Sorgfaltsmaßstabs bei Fahrlässigkeit.

1. Kornhauser, L. and A. Schotter (1990). “Experimental Study of Single-Actor Accidents.” Journal of Legal Studies 19(1): 203–233.
2. Wittman, D., D. Friedman, S. Crevier, and A. Braskin (1997). “Learning Liability Rules.” Journal of Legal Studies 26: 145–162.
3. Schwartz, G. T. (1978). “Contributory and Comparative Negligence: A Reappraisal.” Yale Law Journal 87(4): 697–727.
4. Angelova, V., O. Armantier, G. Attanasi, and Y. Hiriart (2013). “Relative Performance of Liability Rules: Experimental Evidence.” Theory and Decision 77(4): 531–556.
5. Eisenberg, T. and C. Engel (2014). “Assuring Civil Damages Adequately Deter: A Public Good Experiment.” Journal of Empirical Legal Studies 11(2): 301–349.
6. Zipursky, B. C. (2007). “Sleight of Hand.” William and Mary Law Review 48: 1999–2041.
7. Fischhoff, B. F. (1975). “Hindsight ≠ Foresight: the Effect of Outcome Knowledge on Judgment under Uncertainty.” Journal of Experimental Psychology: Human Perception and Performance 1(3): 288–299.
8. Slovic, P. and B. Fischhoff (1977). “On the Psychology of Experimental Surprises.” Journal of Experimental Psychology: Human Perception and Performance 3(4): 544–551.
9. Camerer, C., G. Loewenstein, and M. Weber (1989). “The curse of knowledge in economic settings: An experimental analysis.” Journal of Political Economy 97(5): 1232–1254.

Sullivan, Sean P. and Charles A. Holt. „Experimental Economics and the Law“ In: Parisi, Francesco (Hrsg.) (2017). The Oxford Handbook of Law and Economics. Bd. 1: Methodology and Concepts. NY: Oxford University Press.

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Zeichenerklärung: Römische Ziffern geben die Quelle an, arabische Ziffern die Seitenzahl. Die entsprechenden Titel sind rechts unter Metadaten angegeben. ((s)…): Kommentar des Einsenders. Übersetzungen: Lexikon der Argumente
Der Hinweis [Begriff/Autor], [Autor1]Vs[Autor2] bzw. [Autor]Vs[Begriff] bzw. "Problem:"/"Lösung", "alt:"/"neu:" und "These:" ist eine Hinzufügung des Lexikons der Argumente.
Experimentelle Ökonomik

Parisi I
Francesco Parisi (Ed)
The Oxford Handbook of Law and Economics: Volume 1: Methodology and Concepts New York 2017

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> Gegenargumente zu Fahrlässigkeit

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